Atelierhaus Nonnendamm
Nonnendamm 17, 13627 Berlin
Von der Chemiefabrik zum Atelierhaus
Das seit Ende der 1960er-Jahre bestehende Atelierhaus Nonnen-damm 17 wurde ursprünglich als Fabrikgebäude des Chemie-unternehmens „Urban & Lemm“ erbaut. Die „Urbinwerke“ stellten bis zum Ersten Weltkrieg in großem Umfang Produkte des täglichen Bedarfs und Maschinenöle her. Die Schuhcreme „Urbin“ und das Metallputzmittel „Blendol“ kannte einst jede Hausfrau.
Firmeninhaber Otto Lemm und Teilhaber Paul Urban erwarben 1897 das rund 8700 Quadratmeter große Gelände auf der Schleuseninsel am Spreekanal, nachdem die Produktions- und Vertriebsräume in der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg zu klein geworden waren. Charlottenburg war seinerzeit ein beliebter Standort für Chemiewerke. Innerhalb eines Jahres ließen Urban und Lemm ein zweistöckiges Fabrikgebäude errichten. Otto Lemm und einige Angestellte bezogen ein Wohnhaus auf dem Gelände. Mit der Produktion von Lederfett und Schuh-Glanzwichse unter dem Namen „Eulenwichse“ begann der Aufschwung der Firma. Täglich war Otto Lemm bei „Putzversuchen“ in den werkseigenen Laboratorien anzutreffen, um seine Produkte stetig zu verbessern. Das zweite Standbein der Firma wurden die von Behörden, Industriebetrieben und Eisenbahn-Direktionen wegen der hohen Schmierfähigkeit gern bestellten Zylinder- und Maschinenöle.
Otto Lemm ließ 1903 nach Entwürfen von Gustav Weyhe auf dem Gelände einen Fabrikneubau und ein Maschinenhaus mit 25 Meter hohem, kunstvoll verzierten Klinker-Schornstein errichten. Weil Otto Lemm und Paul Urban sich wegen unterschiedlicher Ansichten über die Ausrichtung der Firma zerstritten, trat Urban 1907 aus der Firma aus, so dass Otto Lemm alleiniger Inhaber wurde.
Seine Produkte verkauften sich landesweit, nur nicht in Berlin. Um den Berliner Markt zu erobern, erkannte Otto Lemm die immense Bedeutung von Werbung und Direktvertrieb. Er schaltete große Zeitungsanzeigen, plakatierte Stadtbahnhöfe und ließ Reklamewagen mit seiner Werbung durch die Stadt fahren.
Mit Verkaufswagen bot er sein Sortiment in ganz Berlin und in den Vororten an – so erfolgreich, dass die Fabrikräume bald wieder zu klein wurden. Otto Lemm erwarb daraufhin das Nachbargrundstück und ließ nach Plänen des Architekten Georg Heyer bis 1911 ein neues Hauptgebäude, Nebengebäude mit Lager- und Fabrikations-räumen, Schuppen und einen großen Pferdestall für den Fuhrpark errichten. In dem neu erbauten mehrgeschossigen Quergebäude am spreeseitigen Treidelweg befanden sich Lagerräume unter anderem für „Reklameutensilien“, Pferdeställe, Futterböden und zwei Wohnungen für Kutscher. Die Baupolizei legte Wert auf eine ästhetische Bauweise von Industriebauten und bat daher die Bauherren, „daß die fensterlose, nach der Spree gelegene Giebelwand in angemessener Weise architektonisch belebt wird, damit die Verunzierung der Gegend nicht zu hart ausfällt.“
Firmengründer Otto Lemm wurde in kurzer Zeit so wohlhabend, dass er sich für seine Familie 1907 auf einem Wassergrundstück in Berlin-Gatow eine große Villa im englischen Landhausstil erbauen ließ. Die „Villa Lemm“ gilt als eines der schönsten und bedeutendsten Berliner Anwesen. Das Familien-Mausoleum, das sich Lemm 1917 auf dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Friedhof unweit der Schleuseninsel errichten ließ, zählt zu den prächtigsten Grab-bauten in Berlin. Otto Lemm, der 1920 mit 52 Jahren starb, liegt dort begraben.
Als einziges Bauwerk seiner Fabrik ist das ab 1909 errichtete fünfgeschossige Gebäude in der Inselmitte erhalten geblieben. Arbeiterinnen und Arbeiter fertigten hier Maschinenöle, Leder- fett und
-appretur, Schuhcreme, Metallputzmittel, Stiefelwichse, Scheuerpulver, Haar- und Putz-Pomade, Huffett, Tinte, Gummi, Fischleim, Bohnermasse und Waschblau zum optischen Aufhellen vergilbter
Wäsche. Die Produkte wurden in Dosen und Flaschen abgefüllt und eingelagert. Im Gebäude gab es noch ein Labor, einen Kühlraum, Aufenthaltsräume und einen Verkaufsraum im Erdgeschoss. Im November
1914, wenige Monate nach Beginn des Ersten Weltkrieges, plante Otto Urban einen Erweiterungsbau seiner Fabrik, die nun vorrangig Heeresaufträge bediente.
Die Auswirkungen des Krieges und eine Krankheit zwangen ihn, seine Pläne zu verschieben und schließlich ganz aufzugeben. Im Jahr 1929 gab „Urban & Lemm“ die Produktion am Nonnendamm auf.
Die Firma „Anticoman“ übernahm die Fabrikräume und ließ hier Anfang der 1930er- Jahre ein Medikament gegen die Zuckerkrankheit herstellen. Ab 1946 nutzten mehrere Firmen die noch erhalten gebliebenen Fabrikgebäude am Nonnendamm – darunter die Lederfabrik Rotter, die an Entfleischungs- und Gerbereimaschinen Schuhsohlen und Schuhleder fertigte.
Ende der 1960er-Jahre wurde in dem Industriebau das noch heute bestehende Atelierhaus eingerichtet. Es befindet sich in Bezirkseigentum und wird seit 2001 von der GSE gGmbH verwaltet.
Recherche und Text: Karolin Steinke
Werbemarken für Produkte der Firma „Urban & Lemm“, Reproduktionen Oliver Möst
Historische Fotos aus der Festschrift „25 Jahre Urban & Lemm"
Link zur Festschrift "25 Jahre Urban & Lemm" (Universitäts-bibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Signatur 36 896 fol.)
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